Im Gegensatz zu Weiss ist die Geschichte hinter meiner gelben Farbspiel-Geschichte weit weniger dramatisch. Im Gegenteil, sie war und ist – vor allem für mich selbst – überraschend und amüsant 🙂
Unglaublich aber wahr, die Urform von “Der Weg vor uns” hat schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, und hiess damals noch “The Path Ahead”.
Wie einige wissen – oder unter Mehr über mich gelesen haben – schrieb ich früher ausschliesslich auf Englisch und war recht aktiv in einigen Schreib-Communities. Genau wie heute machten dort regelmässige Challenges und Schreibaufgaben die Runde – manche Dinge ändern sich eben nicht 😉
Meistens jedoch war ich eher ein Verweigerer solcher Aktivitäten, weil mir bei sehr konkreten Vorgaben entweder sofort eine Idee kommt oder überhaupt nicht. Leider ist erste Option dabei recht selten, die zweite aber die Regel. Da bin ich oft ein bisschen neidisch auf die Autoren, die zu jedem Stichwort und jedem Thema etwas schreiben können – davon hatte ich damals auch einige in meinem Freundeskreis. Ich dagegen kann keine Geschichten erzwingen; oder ich will es zumindest nicht, weil das Resultat dann eben recht ‘erzwungen’ klingen würde.
Aber zurück zum eigentlichen Thema. (I digress, wie man auf Englisch so schön sagt. It’s a habit of mine.)
Ich hatte ich also das Gefühl, solche Challenges seien einfach nichts für mich. Eine komplette Geschichte in 100 Wörtern? Da kriege ich ja kreative Klaustrophobie. Eine Geschichte mit den Wörtern x, y und z? Das ist ja wie in der Grundschule (und Reizwortgeschichten waren noch nie meins).
Doch zu meiner grossen Überraschung stolperte ich eines Tages bei einer DeviantArt Gruppe über eine “Schreibe-eine-Geschichte-zu-diesem-Wort”-Aufgabe, bei der mich die Idee quasi sofort ansprang. Und so entstand dann tatsächlich ein kompletter Text, den ich bis heute sehr mag und für wirklich gelungen halte.
Welches Wort das war? – Scarf (Schal).
Ich musste sofort an zwei Personen denken, die sich einen grossen warmen Strickschal teilen, denn ein besseres Bild für Liebe, Zusammenhalt und Freundschaft gibt es meiner Meinung nach nicht. Daher zeigt “Der Weg vor uns” auf sehr symbolische, aber auch auf sehr direkte Weise, was Freundschaft bedeutet: Verständnis, Verbundenheit, Wärme und Beständigkeit, trotz aller Veränderungen. Und neben dieser offensichtlichen Botschaft findet man noch einiges mehr.
Für die Farbspielreihe habe ich die ursprüngliche Geschichte nicht einfach nur übersetzt, sondern auch komplett überarbeitet und Teile umgeschrieben. Das Ergebnis ist – meiner Meinung nach – sogar noch besser als das Original 🙂
Titel: Der Weg vor uns
Genre: Beziehungsgeschichte
Themen/Stichworte: Freundschaft, Trennung, Erwachsenwerden, Veränderung, Erinnerung, Streit, Versöhnung. (Oh, und natürlich Schal.)
Länge: 10 Seiten
Tagline: Wenn man vorwärts kommen will, muss man immer auch etwas zurücklassen.
Pitch: Die bevorstehende Trennung von seinem besten Freund wäre für Aiden ja schon schlimm genug, aber dann macht ein zunächst sinnloser Streit alles noch schwerer.
Die Geschichte eines (Auf-)Bruchs?
Worum geht es also in “Der Weg vor uns”?
Die naheliegende Antwort wäre: um einen Aufbruch. Schliesslich erfahren wir gleich zu Beginn, dass für Aiden – den Protagonist der Geschichte – die Abreise kurz bevorsteht.
Und wie jeder Aufbruch (oder jede grössere Veränderung) ist auch dieser äusserst zweischneidig. Zum einen ist er nötig, um eine neue Phase im Leben zu beginnen, zum anderen fällt er schwer, weil man ja etwas zurücklassen muss. Dise Situation kennt fast jeder; egal, ob man auswandert, umzieht oder eine neue Beziehung beginnt – bei aller Vorfreude spürt man doch immer auch eine gewisse Anspannung, eine Mischung aus Angst, Zweifel und Bedauern.
In Aidens Fall ist diese Anspannung deutlich, denn er muss vieles zurücklassen, was ihm sehr wichtig ist. Seine Heimat, seine Kindheit und – vielleicht am schwersten von allem – seinen besten Freund. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, kommt wie aus dem Nichts auch noch ein Streit dazu, dessen Sinn oder Grund Aiden zunächst völlig unklar ist. Worst case scenario, oder?
Je länger man über diese Situation nachdenkt – oder je weiter man liest – desto mehr wird aber auch klar, dass es in der Geschichte gar nicht so sehr um Aidens Aufbruch in eine neue Phase seines Lebens geht. Klar, es ist der Auslöser für die ganze Situation, aber gleichzeitig auch nicht mehr als das. Das merkt man schon daran, dass man den ganz genauen Grund für Aidens Weggehen nie erfährt (irgendetwas mit Militär), und auch seine letztliche Motivation dafür bleibt im Dunklen. Es geht weniger um die konkrete Zukunft – Was wird jetzt aus Aiden? Was steht ihm bevor? – als um den Augenblick – Wie geht Aiden damit um? Wird sich alles noch auflösen? Kann der Streit beigelegt werden?
Die Geschichte handelt also weniger vom Weggehen, sondern vom Übergang, von der unklaren Phase, in der man etwas Neues beginnt und dafür mit dem Alten brechen muss.
Genauer gesagt – und auf Aidens Situation bezogen – geht es um den Übergang vom Kind zum Erwachsenen, das Abwenden von der Kindheit und der Heimat, dem alten Leben. Und gleichzeitig geht es um die fast schmerzhafte Frage, ob sich etwas aus der Kindheit ‘hinüberetten’ lässt, nämlich die Freundschaft zu Gabriel, oder ob es auch hier zum Bruch kommt.
Wer genau sind die beiden Figuren?
Wie bei Weiss handelt es sich um einen Outtake aus einem meiner Romanprojekte, genauer gesagt um eine Vorgeschichte, die die beiden Protagonisten in jüngeren Jahren zeigt und dabei viel über ihre Beziehung zueinander verrät.
Wenn die Handlung von “Puzzlespiele” beginnt, sind Aiden und Gabriel bereits um einige Jahre älter als in “Der Weg vor uns“. Und dennoch lassen sich in dieser Geschichte viele Details entdecken, die auch im Roman (immer noch) eine grosse Rolle spielen. Das ist zum einen der Umgang mit Trennung, denn zu Beginn der Romanhandlung haben die beiden sich gerade wiedergetroffen, nachdem sie zwei Jahre lang getrennt voneinander eine Ausbildung absolviert haben. Zum anderen stellt sich ein weiteres Mal die Frage, ob ihre Freundschaft stark genug ist, alle Veränderungen zu überdauern. Denn obwohl es zunächst so aussieht, als könnten einfach da weitermachen, wo sie vor zwei Jahren aufgehört haben, müssen sie bald feststellen, dass sich einiges verändert hat – darunter vor allem sie selbst.
Aber auch wenn man die Verbindung zu meinem Romanprojekt vollkommen ignoniert, kann man den beiden Figuren etwas interessantes abgewinnen. So erscheinen sie sehr gegensätzlich – Aiden ruhig, besonnen und realistisch, Gabriel spontan, emotional und aufbrausend. Dies wird besonders deutlich an der Art, wie sie streiten – der eine bleibt ruhig und sucht nach sachlichen Argumente, der andere lässt sich von seinen Gefühlen leiten und zeigt diese auch sehr deutlich.
Bei der Übergabe des Schals sieht man ausserdem, dass die Weltsicht der beiden nicht ganz dieselbe ist:
„Du weißt, was das heißt, oder?“
„Das ist nicht möchte, dass du dich zu Tode frierst?“
„Nein, du Idiot.“ Gabriel sah ihn an, der Ausdruck todernst. „Es ist eine Abmachung mit dem Schicksal. Ein Handel. Jetzt musst du zurückkommen, damit ich dir deinen Schal wiedergeben kann.“
Aiden der Realist, Gabriel der Fatalist – der eine glaubt daran, dass man das Leben selbst beeinflussen kann (“Wir schaffen das.”, “Ich werde zurückkommen.”), der andere an die Macht des Schicksals.
Doch ist es nicht so, dass die besten Freundschaften nicht zwischen absolut gleichen Personen entstehen, sondern zwischen Menschen, die sich ideal ergänzen, bei denen jeder das hat, was der andere braucht?
Gabriel betont in der Geschichte, dass er Erfahrung mit dem Alleinsein hat, was darauf hinweist, dass sich bis jetzt nicht allzu viele Personen in seinem Leben für ihn interessiert haben – ausser Aiden natürlich. Doch genauso, wie Gabriel jemanden braucht, der für ihn da ist, braucht Aiden das Gefühl, für jemanden dazusein. Er leidet deshalb genau unter der bevorstehenden Trennung wie Gabriel.
Neben einer gewissen Gegensätzlichkeit haben die beiden also auch einiges gemeinsam. Die Tatsache, dass sie nicht gerne alleine sind, zum Beispiel. Oder dass ihnen beiden bewusst ist, dass sie nicht länger Kinder sind, und dass sie beide den Übergang in der Welt der Erwachsenen herbeisehnen, aber gleichzeitig auch bedauern.
Könnte der Schal nicht auch jede andere Farbe haben? Ja und nein.
Ja, weil der Schal letztlich nur ein Symbol ist. Ein Symbol dafür, dass ein Teil von Aiden – wie er selbst sagt – bei Gabriel zurückbleibt. Und ein Symbol für die Freundschaft, die einen warm hält, egal wie widrig und kalt die Umstände auch sein mögen. Die Farbe das Schals spielt dafür keine Rolle.
Aber auch nein, weil durch die gelbe Farbe ein weiteres wichtiges Element dazukommt: der gelbe Schal steht nicht nur für die Freundschaft, sondern für weit mehr – für die Vergangenheit, die Erinnerungen, die Heimat – und wird dadurch noch wertvoller. Aiden gibt seinem Freund etwas, das ihm selbst unheimlich viel bedeutet, und zeigt damit, wie wichtig ihm Gabriel ist.
Die Farben: Gelb und Weiss, oder Nostalgie gegen Realität
Wofür steht die Farbe Gelb in der Geschichte? Sehen wir uns zunächst an, was ausser dem Schal noch alles gelb oder golden ist: Sonne, Licht, Getreidefelder, Sonnenblumen.
All diese Dinge sind eng mit Aidens Heimat verknüpft, mit dem Sommer, der Wärme. Gelb steht für die Erinnerungen; und da es positive, zum Teil fast verklärte Erinnerungen sind, auch für Nostalgie.
Die Erinnerung war schwer und golden und glänzend.
Einen harten Kontrast zu diesen Erinnerungen bildet die Wirklichkeit um sie herum: Schnee, Kälte und Dunkelheit sind die prägenden Elemente hier, Weiss die dominierende Farbe, die quasi für die harte, kalte Realtät steht.
Der Gegensatz zwischen Sommer und Winter, Wärme und Kälte, Früher und Jetzt, Nostalgie und Realität, Gelb und Weiss untersteicht also den Bruch, der hier bevorsteht, den Übergang vom Kind zum Erwachsenen, die Belastungsprobe für die Freundschaft.
Gleichzeitig ist der Schal der letzte Gegenstand, den Aiden aus seiner Kindheit “hinüberretten” konnte, und etwas, das ihn an die guten Zeiten, an seine Heimat und an seine Mutter erinnert. Umso prägender ist es – wie oben schon gesagt – dass er dieses wertvolle Stück seinem besten Freund übergibt.
Zu guter Letzt kommt natürlich auch in dieser Geschichte ein Schimmer von Blau vor – meiner persönlichen Lieblingsfarbe, die ich in jeder Geschichte kurz aufleuchten lassen wollte. Hier befindet sich dieser Moment direkt am Anfang:
Der Himmel hatte die tiefblaue Farbe eines Samtvorhangs, noch ohne jede Spur eines verheissungsvollen Glanzes im Osten.
Der Weg und die Eisschicht – zwei meiner Lieblingsstellen
Ich persönlich liebe Symbolismus und Bilder – und deshalb gibt es davon auch einige in dieser Geschichte, allen voran natürlich der Schal. Daneben möchte ich aber noch auf zwei andere Stellen hervorheben, die man ganz wörtlich verstehen kann, aber auch als (symbolische) Hinweise auf etwas ‘Grösseres’.
Er blickte zurück. Ihre Spuren in der ansonsten unberührten Schneefläche. Zwei Linien, parallel, genau nebeneinander.
Dann blickte er nach vorne. Ein weites weißes Nichts.
Zum einen ist das natürlich eine einfache und akkurate Beschreibung der momentanen Situation. Es ist exakt das, was Aiden sieht, und hilft dabei, sich in seine Position zu versetzen. Zum anderen ist die Passage aber auch eine kurze Zusammenfassung von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft: die Spuren hinter den beiden Freunden stehen für ihre gemeinsame Vergangenheit, ihr jetziger Standpunkt für die Trennung in der Gegenwart, das weisse Nichts vor ihnen für die unklare Zukunft.
Gabriel starrte in tiefer Konzentration an Aiden vorbei, und sein Blick war klar und hart wie die Eisschicht auf einem See im frühen Winter. Eine Schicht, die noch transparent und dünn war, und das Wasser gerade so abdeckte. Darunter konnte man noch die dunklen Wellen erkennen, die gegen das Eis drückten. Nur ein bisschen zu viel Druck, und die zerbrechliche Schicht würde bersten.
Auch diese Stelle ist zunächst nur eine Beschreibung, die die Kälte – die reale Temparatur genauso wie die Stimmung zwischen den beiden Freunden – noch einmal deutlich und geradezu fühlbar macht. Zusätzlich ist es aber auch eine bildliche Umschreibung einer sehr einfachen Tatsache: Gabriel versucht, die Tränen zurückzuhalten.
Und wie geht es weiter?
Jetzt kommt der gemeine Satz, den Autoren so gerne benutzen: Das entscheidet der Leser.
Es ist absolut offen, ob Aiden zurückkommen und damit sein Versprechen halten wird, genauso wie die Frage, ob Gabriel auf ihn warten wird. Und ob die Freundschaft der beiden nach der Rückkehr noch dieselbe sein wird. Daher kann der Leser – kannst du – völlig frei entscheiden, welche Antwort die beste oder wahrscheinlichste ist.
Für diejenigen, die diese Offenheit schrecklich finden und gerne eine konkretere Antwort hätten, möchte ich noch darauf hinweisen, dass die ganze Geschichte – vor allem das Ende – einen deutlichen positiven Unterton hat, und dass die beiden schliesslich die Protagonisten in einem Romanprojekt sind, dessen Handlung später einsetzt. Also ja, Aiden kommt zurück.
Besonders interessant fand ich auch noch die Reaktion einer Leserin auf die Szene, in der Gabriel Aiden umarmt. Sie meinte in etwa: “Irgendwie hätte ich einen Kuss erwartet. Obwohl ich weiss, dass die beiden eventuell zu jung sind.”
Ich weiss nicht, ob es die Szene an sich war – ist ja ein klassischer Moment, der auch in anderen Filmen und Büchern vorkommt – oder ob doch irgendwo zwischen den Zeilen eine Spur von Puzzlespiele zu finden ist …
Da ich meine Szenen oft wie kleine Filmsequenzen vor meinem inneren Auge sehe, und da nichts Stimmung besser transportiert als Musik, gibt es eigentlich für jedes noch so kleine Projekt eine Soundtrackliste, oder zumindest ein zentrales Lied.
In diesem Fall wäre es
Bullet for my Valentine, Forever and Always (acoustic version)
(Unbedingt die akkustische Version. Besonders passend ist schon die erste Zeile – “The time is here again/prepare to be apart/And it drives you crazy”)
Dir ist noch etwas aufgefallen? Du möchtest von einer eigenen Geschichte erzählen? Du hast eine ganz andere Interpretation, oder eine Frage? Toll, dann schreib mir doch einen Kommentar. Ich würde mich freuen 🙂
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Quellen der verwendeten Bilder:
der gelbe Schal: TheKnitGarden auf Etsy
Thoreau-Zitat: curated quotes
alles andere: pixabay