Keine Angst, ich meine natürlich nicht das aktuelle Wetter draussen vor dem Fenster. (Obwohl ich mich ja stundenlang über den dramatischen Mangel an Schnee aufregen könnte. Es ist Winter, es ist bald Weihnachten, da möchte ich WEISS, nicht grün, grau und braun!)
Nein, reden wir lieber über Wetter in Romanen und Geschichten. Auch ein schönes Smalltalk Thema 😉
In der literarischen Epoche der Romantik führte kein Weg an ausführlichen Wetterbeschreibungen vorbei, weil diese gleich zwei Zielen dienten: zum einen sollten sie die Schönheit und Macht der Natur zu zeigen, zum anderen – was noch viel wichtiger war – die Stimmung der Figuren widerspiegeln und verdeutlichen. Daher gab es jedesmal einen gewaltigen Sturm, wenn ein Streit ausbrach, und traurige Verabschiedungen fanden fast immer im strömenden Regen statt.
Natürlich ist die Epoche der Romantik schon lange vorbei, aber die Tradition der Wetterbetrachtung existiert immer noch. Ich bin mir sicher, dass jeder auf Anhieb mindestens ein Dutzend Filme nennen kann, bei denen ein Gewitter oder einen Sonnenstrahl genau im richtigen Moment auftaucht. Und wenn ein solcher Moment gut umgesetzt ist, kann das gezeigte Wetter auch ganz erheblich zur Stimmung beitragen (was wäre zum Beispiel ein schwarz-weiss Horrorfilm ohne Blitz und Donner?).
Trotzdem gibt es auch Regisseure und Autoren, die um jeden Preis auf jede Spur von Wetter verzichten möchten. Warum? Nun, weil ihnen wieder und wieder gesagt wurde, dass solche Darstellungen und Beschreibungen nicht nur veraltet sind, sondern ein absolut zu vermeidendes Klichee darstellen.
Ich selbst bin kein grosser Fan der Romantik und ihrer Literatur. Ausserdem bin ich beim Schreiben immer sehr darauf bedacht, ja keine offensichtlichen und überstrapazierten Klischees zu benutzen. Daher war die ausführliche Beschreibung von Wetter für mich lange Zeit ein ‘no go’; wenn überhaupt, dann handelte ich sie in ein bis zwei Sätzen ab, immer als Hintergrundbeschreibung und nie mit einem tieferen Sinn zwischen den Zeilen.
Und trotzdem bekam ich eines Tages eine Kritik zu hören, die mir genau das vorwarf, was ich zu vermeiden versucht hatte. In einer Kurzgeschichte (einem Outtake aus einem meiner Projekte) schrieb ich die folgenden Zeilen:
You are just standing there, staring out of the window in intense concentration, as if you hadn’t even noticed me. The rain has stopped, but the clouds are still hanging there, heavy and dark.
(Du stehst nur da, ganz konzentriert auf die Welt auf der anderen Seite des Fensters, als hättest du mich nicht einmal bemerkt. Der Regen hat inzwischen aufgehört, aber die dunklen, schweren Wolken sind immer noch da.)
Ja, ich weiss. Eine Figur dabei zu zeigen, wie sie ‘gedankenverloren aus dem Fenster schaut’, ist ein absolutes Klischee. Das war mir beim Schreiben auch bewusst (wenigstens finden sich diese Sätze in der Mitte der Geschichte und nicht am Anfang, wo sie noch ein wesentlich grösseres Klischee erfüllen würden), und ich erwartete daher fast, dass mich jemand in den Kommentaren darauf hinweisen würde. Was ich jedoch nicht erwartete hatte, war, dass der ‘Fenster’ Teil komplett ignoriert wurde und ich stattdessen für etwas ganz anderes krisiert wurde: “Du benutzt hier das Wetter, um die Stimmung deiner Figur zu zeigen. Das würde ich unbedingt rausnehmen, solche überstrapazierten Klischees benutzt kein seriöser Autor.”
Ich hatte eine solche Kritik nicht erwartet, weil diese Zeile eben gar nicht das Wetter draussen vor dem Fenster beschreiben sollte, sondern vielmehr metaphorisch gemeint war (die beiden Figuren in der Geschichte hatten vorher einen heftigen Streit, und ich wollte dieses Gefühl von “der Streit ist vorbei, aber die Stimmung ist immer noch gedrückt” bildhaft darstellen).
Ist eine Wettermetapher also schon genauso schlimm wie eine Wetterbeschreibung? Reagieren manche Leute viel zu sensibel auf jedes Detail, das eventuell zum Klischee werden könnte? Oder liegt das eigentliche Problem ganz woanders?
Schliesslich gibt es auch Schreibratgeber, die ganz überzeugt dazu raten, Wetter im Roman nicht nur zu erwähnen, sondern bewusst einzusetzten. Schliesslich macht es die Geschichte nicht nur realistischer, sondern bietet auch die Chance, den Leser quasi zwischen den Zeilen über den Zustand der Figuren informieren. Erst vor kurzem fand sich wieder ein Link zu solch einem Blogpost auf meinem Facebook Feed.
Wer hat denn nun recht? Ist die Beschreibung von Wetter ein zu vermeidendes Klischee oder ein erzählerisches Mittel, das grosse Chancen bietet?
Meiner Meinung nach liegt die Wahrheit – wie immer – in der Mitte.
Zuallererst einmal ist Wetter unbestritten eine gute Möglichkeit, einen Roman oder eine Geschichte realistischer zu machen. Es ist einfach ein Teil des Lebens, den jeder kennt. Daher kann eine gute Beschreibung dem Leser auch helfen, eine Szene oder einen Ort lebendiger vor Augen zu sehen. Natürlich sollte der Einsatz dennoch sparsam erfolgen, denn häufige lange Beschreibungen können die Handlung erheblich bremsen und somit beim Leser für Frust und Langeweile sorgen.
Und dasselbe gilt auch, wenn man das Wetter benutzt, um einen Einblick in den Zustand oder die Stimmung der Figuren zu geben, oder um einer Szene eine tiefere Bedeutung zu verleihen. Zusätzlich spielt in diesem Fall auch Feinheit und Rafinesse eine Rolle. Um die Wirkung zu erhalten, sollte man sich solche ‘bedeutungsvollen Beschreibungen’ für Momente aufsparen, wo sie wirklich angebracht sind. Man sollte ausserdem immer darauf achten, dass die Beschreibung zum eigenen Schreibstil und zur Geschichte an sich passt (ausserhalb von Fantasy gibt es ziemlich sicher keine Schneestürme im Juli oder Sandstürme in der Arktis). Ganz besonders wichtig ist auch die Originalität – statt eines bekannten und oft benutzten Klischees, das man in jedem zweiten Roman findet, sollte man versuchen, eine eigene Idee umzusetzen, die dem persönlichen Stil und der aktuellen Handlung entspringt.
Und um es nochmal zu wiederholen: subtil muss es sein. Es geht um die Erschaffung von Stimmung, Atmosphäre, Gefühl – und nichts ist da ungeeigneter als das verbale Equivalent von “er weinte, und der Himmel weinte mit ihm – PASSEND ODER? WEIL REGEN FAST DASSELBE IST WIE TRÄNEN.”
Wo wir gerade von Regen sprechen: ich habe vor einer Zeit einmal eine Szene geschrieben, in der jemand seinem besten Freund ein Geständnis macht. Der beste Freund reagierte darauf mit Bestützung und flüchtete erst aus dem Raum, dann aus dem Gebäude – und findet sich draussen im strömenden Regen wieder.
Ja, ich weiss. Was für ein Klischee. Der Alarm in mein Kopf schrillte sofort auf. Und trotzdem entschied ich mich, die Szene genau so zu schreiben. Nicht nur, weil sie in meinem Kopf genau so aussah (bei mir fangen alle Szenen als kleine ‘mentale Filme’ an), sondern auch, weil die Botschaft zwischen den Zeilen eine sehr subtile war: Der Regen sollte nicht Traurigkeit darstellen, oder den Streit der beiden symbolisieren. In Wahrheit war nämlich der beste Freund eher erschüttert und überfordert als traurig, und gestritten hatten die beiden ja nicht wirklich. Der Regen sollte lediglich zeigen, was das Geständnis bei ihm ausgelöst hatte und wie betroffen er davon war – so sehr, dass sein erster Impuls die Flucht war. Einfach weg von allem, auch wenn dies bedeutete, draussen im strömenden Regen stehen zu müssen.
Während des NaNoWriMo habe ich übrigens an einem Projekt gearbeitet, das Regen bereits im Titel trägt (“Blut und Regen” – was bis jetzt lediglich der Arbeitstitel ist, aber da die beiden Konzepte eine grosse Rolle spielen, hätte ich sie gerne auch im finalen Titel). Der Grund dafür ist, dass Regen in der Geschichte häufig erwähnt wird und über die Wetterbeschreibung hinaus zu einer Art Symbol wird. Nein, der Regen steht auch hier nicht einfach für Traurigkeit, Verzeiflung oder Drama. Es geht weniger um den Regen selbst als um die Haltung ihm gegenüber; er wird sozusagen zu einem Beweis dafür, wie sich die Einstellung des Protagonisten im Verlauf der Geschichte verändert.
Am Anfang betritt der Protagonist ein Land, von dem er nur Negatives gehört hat und dem er sich daher überhaupt nicht verbunden fühlt. Regen mag er auch so gar nicht; und da das Land den Ruf hat, es würde hier ständig regnen (was teils stimmt, und teils einer ‘sich selbst erfüllenden Prophezeihgung’ gleichkommt – eine Tatsache, die viele bestimmt schon während der Ferien in Grossbritannien beobachten konnte), ist das für ihn nur ein weiterer Grund, der seine ablehnende Haltung Land und Leuten gegenüber rechtfertigt.
Je mehr Zeit er jedoch dort verbringt, je mehr er sieht und erfährt, desto mehr merkt er – sehr zu seiner Überraschung – dass seine ursprüngliche Haltung engstirnig und unbegründet war. Und dann verliebt er sich auch noch in eine Person, die in diesem Land geboren und sehr von ihm geprägt ist. Nach und nach erhält so der Regen eine andere Bedeutung für ihn, und an einem Punkt der Geschichte ist er dann gar verwirrt und verärgert, dass es eben nicht regnet: Sie verliessen den Gasthof, und wurden von strahlendem Sonnenschein empfangen. Ein gutes Zeichen für ihre weitere Reise, und dennoch konnte er nur daran denken, wie falsch sich das anfühlte. So unabänderlich, unglaublich falsch. In einer späteren Szene wird daraus sogar noch Bedauern: Warum regnete es immer noch nicht? Er vermisste den Regen.
Natürlich geht es bei seinen Gedanken nicht länger ums Wetter. Der Regen, das fremde Land, die Person, die er liebt – sie sind inzwischen so eng verbunden, dass sie teilweise sogar eins werden. Wenn er also vorgibt, den Regen zu vermissen, dann ist es in Wirklichkeit so, dass ihm eine ganz bestimmte Person fehlt. (Und man muss hinzufügen, dass er letzteres niemals offen aussprechen oder zugeben würde.)
Man kann sagen, das sei zu subtil. Oder man kann sagen, es handle sich immer noch um ein offensichtliches Klischee. Über Geschmack lässt sich bekanntlich immer streiten – genauso wie über das Wetter.
Ich mag Wetter in Geschichten. Irgendwie erdet mich das, zeigt, dass da draußen eine “reale” Welt ist (so real die in Stories sein kann) und nicht im luftleeren Raum spielt.
Ich hab auch absolut nichts gegen Wetter als Stimmungsunterstreicher und -hinweiser. Klischee? Mir wurscht :-p
Wenn’s gut geschrieben ist, kann es bei einem Streit gerne draußen stürmen. Oder das Wetter als allgemeine Metapher fürs Seelenleben geht auch. Deine Sache mit dem Regen gefällt mir auch gut, weil man Wetter eben auch stark mit einer Region verknüpfen kann (bei mir: strahlender Sonnenschein mit Südengland, Dauerregen in der Toskana – also komplett gegen das gängige Wetterbild dieser Regionen).
Was mir auch total gut gefällt, ist, wenn das Wetter konterpunktierend eingesetzt wird – Sonne bei mieser Stimmung, Regen bei guter Laune. Da widerspricht den gängigen Klischees und kann eine schöne Wirkung haben, wenn man ein wenig damit spielt, dass das Innenleben der Charaktere nicht vom Wetter widergespiegelt wird.
LikeLiked by 1 person